Digitale Souveränität – Begriffe und ihre Bedeutungen
„Souverän!“ – Ein wohlmeinendes Feedback, das, sofern wir es erhalten, durchaus selbst auf uns stolz sein lässt. Denn es impliziert, dass wir eine Herausforderung angenommen haben, gelernt haben, und aus uns selbst heraus eine Aufgabe lösen können. Also quasi eine Chance, eine Erwartung oder auch ein Ziel, das uns seit Kindheitstagen an begleitet. Das Digitale ist ebenso in die Tätigkeiten unseres Alltags (der Meisten von uns) verwoben. Und genau da setzt dann jener Begriff ein, der heute vermehrt die Runde in Diskussionen macht und dem wir in dieser Trilogie der Betrachtung nachgehen: die digitale Souveränität.
Was ist mit digitaler Souveränität gemeint?
Neben den Informationen zu digitaler Souveränität bei GreenWebspace, wollen wir in unserem Dreiteiler zu „digitale Souveränität“ das Thema etwas breiter, wie auch Aspekte konkreter im Detail ansehen. Des Weiteren wollen wir Vorannahmen beleuchten, und mit kritischen Fragen und Perspektivenwechsel zu einem differenzierten Verständnis von digitaler Souveränität beitragen. Denn die Digitalisierung hat mindestens die berühmten 2 Seiten einer Medaille. Sie bietet Staat, Unternehmen und Bürger*innen viele Chancen, birgt aber auch Risiken wie Cyberkriminalität, Spionageattacken, Datenlecks, wirtschaftliche und politische Interessen1.
Vielleicht hast auch du als Privatperson oder als Unternehmer_in dich bereits gefragt, ob und wie das Thema dich und dein Handeln betrifft?
Begriffe & Definitionen
Zu Beginn begeben wir uns auf die Wortwurzelsuche und schauen uns sowohl Definitionen als auch die Bedeutungsebenen von „digitaler Souveränität“ an.
Souverän – Bedeutungen
A: Freie Entscheidung
Macht und Recht, frei nach eigenem Ermessen zu entscheiden, ohne dabei das Recht anderer zu verletzena) oberste Hoheitsgewalt eines Staates über seine inneren und auswärtigen Angelegenheiten
b) Recht einer Nation im Hinblick auf ihre Selbstbestimmung
c) Recht eines Volkes im Hinblick auf die ihm zustehende Staatsgewalt, Ausübung der Macht des Volkes innerhalb eines Staates, VolkssouveränitätB: Überlegenheit / Sicherheit
Wortwurzeln und Bedeutungsebenen
souverän (adj.) Das Wort stammt vom französischen Wort souverain und vom lateinischen superanus = „darüber befindlich, überlegen“. Im Lateinischen bedeutet super „oben, auf, darüber“ (Proto-Indo-Europäische Wurzel von uper mit der Bedeutung „über“).
Der Souverän (n.) / sovereign (n.) Im 13. Jahrhundert bedeutete soverain „Überlegener, Herrscher, Meister – jemand, der über andere überlegen oder mächtiger ist. Meist galt die Bezeichnung einem König oder einer Königin, also jemanden, der über Menschen herrscht. Der starke Personenbezug implizierte zum Beispiel „mit höchster Macht ausgestattet“, oder auch aus dem Altfranzösischen soverain „höchster, oberster, Chef“, aus dem Vulgärlateinischen superanus „Chef, Haupt“ (auch Quelle von Spanisch soberano, Italienisch soprano). Der Begriff wurde auch für kirchliche Autoritäten und Leiter von Orden oder Häusern sowie örtliche Amtsträger verwendet. Bezogen auf Heilmittel oder Medikamente bedeutete es seit dem späten 14. Jahrhundert „hochwirksam“.
Das eng verwandte Wort die Souveränität (n.) hat die gleiche mittellateinische Wurzel, leitet sich aber von frz. souveraineté ab. Im späten 14. Jh. bedeutet es „Vorrang, Vorzüglichkeit, Überlegenheit“, auch „Autorität, Herrschaft, Vorherrschaft, Macht oder Rang“. Die Bedeutung „Existenz als unabhängiger Staat“ stammt aus dem Jahr 1715. Die allgemeine Bedeutung „Zustand oder Charakter des Herrschens“ stammt aus dem Jahr 1860.
Rückblick – Überblick – Einblick
In der Rechtswissenschaft heute versteht man unter Souveränität die Fähigkeit einer natürlichen oder juristischen Person zu ausschließlicher rechtlicher Selbstbestimmung. Diese Selbstbestimmungsfähigkeit wird durch Eigenständigkeit und Unabhängigkeit des Rechtssubjektes gekennzeichnet und grenzt sich so vom Zustand der Fremdbestimmung ab.
In der Politikwissenschaft versteht man darunter die Eigenschaft einer Institution, innerhalb eines politischen Ordnungsrahmens einziger Ausgangspunkt der gesamten Staatsgewalt zu sein. Geprägt wurde der Begriff im 16. Jahrhundert durch die Absolutismuslehre des französischen Staatsphilosophen Jean Bodin, der dem König als Einzigem die unbeschränkte Konzentration aller rechtlichen und physischen Staatsgewalt zusprach, um Sicherheit und Frieden im Lande garantieren. Die Entwicklung des Souveränitätsbegriffes spielte eine zentrale Rolle in der Entstehung des europäischen Staatensystems in der Renaissance, hin zur Idee der Nation.
Im Völkerrecht wird Souveränität als die grundsätzliche Unabhängigkeit eines Staates von anderen (Souveränität nach außen) und als dessen Selbstbestimmtheit in Fragen der eigenen staatlichen Gestaltung verstanden.
Der Souverän und der souveräne Mensch
Was und wer bemächtigt einen einzelnen Menschen zum Souverän? Darf, ja muss man von einem Souverän erwarten auch souverän handeln? Ist ein souveräner Mensch automatisch prädestiniert, ein Souverän zu sein? Und was überhaupt schreibt das Adjektiv „souverän“ einem Menschen zu?
Nun beinhaltet das Verständnis von Souveränität die Idee, das eigene Denken und Handeln eigenverantwortlich und selbstbestimmt gestalten zu können. Es geht also um Eigenständigkeit und um Unabhängigkeit. Demnach heißt „souverän sein“, seinem eigenen Urteil und seinen Fähigkeiten zu vertrauen, und so wenig wie möglich in situativer Eigendynamik oder Fremdbestimmung befangen/gefangen zu sein. Das höchste Gut in dieser Verwendung des Begriffes ist das realistische Selbstbild: Ein souveräner Mensch weiß um seine Leistungskompetenz und Leistungsverfügbarkeit, während die eigenen Grenzen klar gesehen und mitberücksichtigt werden.
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, schrieb Kant bereits 1784“ so Dr. Jens Zimmermann in der Publikation „SCHLÜSSELASPEKTE DIGITALER SOUVERÄNITÄT (HRSG. Gesellschaft für Informatik e.V, 2020). Weiter meint er, dass die digitale Mündigkeit aller Bürgerinnen und Bürger Grundlage für die digitale Souveränität unserer Gesellschaft heute ist. „Wir sprechen zu oft nur von Wirtschaft, Monopolen, von China, den USA, von Abhängigkeiten und Technologievorreitern. Doch digitale Souveränität beginnt in den Köpfen der Einzelnen.“
Die Souveränität eines Staates ist die von anderen Staaten anerkannte Entscheidungsfreiheit für innerstaatliche Belange, als auch über die Art und Weise der Beziehungspflege mit anderen Staaten. Der souveräne Staat bestimmt seine Gesetze und seine Regierungsform selbst.
So souverän!
Ok. Und nun schwenken wir vom souveränen Staat (wer ist darin der Souverän?) zum einzelnen Menschen. Menschen werden, je nach Gesetzeslage, einerseits die gesetzlich verankerte Mündigkeit, und andererseits die vom Umfeld aus sozial-kulturellen Traditionen, Normen und Werten entsprechende Mündigkeit und (das Vertrauen) zugesprochen, dass dieser (prinzipiell) bereit ist, Fähigkeiten entwickelt hat, etwas selbstständig, ohne Hilfe, selbstverständlich und eigenständig zu tun.
Gerade im alltäglichen Sprachgebrauch können wir häufig vernehmen, wenn jemand zugesprochen wird, dass etwas „souverän gemeistert“ wurde. Dies impliziert die Vorstellung, dass man selbst der Meister/die Meisterin einer Herausforderung wurde. Nicht mehr das Problem dominiert den Menschen, sondern der Mensch meistert das Problem, und ist ihm überlegen. Der Mensch hat das identifizierte Problem und damit zusammenhängende Faktoren quasi domestiziert, manchmal auch ausgelöscht. Ein Mensch hat sich im Zuge des Erlangens persönlicher Souveränität selbst ermächtigt. Souverän zu sein im impliziert die Anerkennung der Qualitäten im Außen.
4 Faktoren der Souveränität
Du findest sie in Karrierebibeln, in Tipps für High-Performer, in Rezeptsammlungen für hoch bezahlte Manager, in Jobplattformen/ Sektion Erfolgsfaktoren und auch in den Regalen für Selbstoptimierung und Entwicklungspsychologie.
„Souveränität ist ein echtes Erfolgskriterium – ein souveräner Mensch wirkt überzeugender, kompetenter, professioneller.“
- SelbstsicherheitWer souverän ist, strahlt Sicherheit und Ruhe aus.
- Besonnenheit
- Bescheidenheit
- Überblick
- UnabhängigkeitSouverän sein heißt, seinem eigenen Urteil zu vertrauen und sich von der Eigendynamik einer Situation nicht gefangen nehmen zu lassen.
- Meinungsstärke
- Bauchgefühl
- Zielstrebigkeit
- InteraktionSouveränität bleibt nicht auf sich selbst bezogen. Sie zeigt sich erst im Umgang mit anderen.
- Interesse
- Konsultation
- Selbstkritik
- SelbsteinschätzungEin souveräner Mensch weiß, um die eigene Leistungsfähigkeit und hat ein gesundes Bewusstsein zu den eigenen Grenzen
- Verantwortung
- Realitätssinn
- Lösung
Gedanken tanken
mit Elisabeth
Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass mir diese als sehr eurozentristische anmutende DNA der Souverän-Ideen eine massive Denkaufgabe bietet, seit ich begonnen habe, mich mit dem Thema der digitalen Souveränität intensiver auseinander zu setzen. Und ich bin noch nicht sicher, ob ich diese souverän meistern will. Ich vermute in Überlegenheitsideen, der Praxis der Unterwerfung, des Meisterns, des Domestizierens und der Überhöhung einer souveränen Wirkung eine faule Wurzel. – Sowohl in der Idee des einzelnen Souveräns als Allein- und Letztbefugte_r in Sachen Entscheidungen, als auch in der Vorstellung der persönlichen Erlangung von Souveränität.
Wie viel davon meint den Weg einer Meisterschaft, der persönlichen Entwicklung hin zur Entfaltung in Interaktion meiner Mitwelt, oder verkommt sich all dies in Macht- und Perfektionsansprüchen? Wie können in einem so gestrickten System, das die Eigenschaft des „souverän Seins“ als derart hohe Instanz sieht, Ideologien wie „nur die Starken werden überleben“ und Bedürfnisse von Menschen mit z. B. besonderen Bedarfen inklusiv gelebt werden? Oder ist Inklusion in diesem Fall ein Ausschlusskriterium, das maximal der freundlichen Gesinnung des Souveräns unterliegt?
Vielleicht ist es aber auch gerade die historische Sprachwurzel, die mir als Europäerin hier sauer aufstoßt. Denn wie weit diese Bedeutungsebenen in unsere Wahrnehmung hineinreichen, und demnach massiv beeinflussen, wie wir unsere Welt gestalten, wurde mir insbesondere im Teil der Einleitung klar: Meine Finger wollten bereits schreiben „… eine Aufgabe bewältigen“. Doch ich musste tief Atmen holen. Um auf Nummer sicher zu gehen, suchte ich in etlichen Online-Lexika nach der etymologischen Information zu „bewältigen“. Das Ergebnis: etw. (nach großer Anstrengung) meistern, einer Sache Herr werden.
Tja. Das mag wohl mal entsprechend gewesen sein. Unserer heutigen Zeit, den Herausforderungen, denen wir gegenüber stehen, in deren Mitte wir uns wiederfinden, wird diese Sprachwahl nicht gerecht. Zumindest nicht in meinem Verständnis. Denn es knüpft an der Idee des Rechtes auf Unterdrückung und Unterwerfung anderer an, auf geWALTvolle Umsetzung, und auf Überlegenheit. Wie kann diese zur Sprache tradierte Idee mit der hoffnungsvollen Idee einer digitalen Souveränität in Resonanz gehen?
Technologie, Daten und Souveränität
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