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Der Kirschbaum und das Gemeinwohl

Bäume transformieren nicht nur CO2. Sie haben auch Transformationskraft für die Veränderung unser Gesellschaften und damit auch für unser Wirtschaftssystem. Was das mit einem Kirschbaum und dem Gemeinwohl zu tun hat, erfährst du in einem Artikel zum sozialen Netzwerk der Bäume von unserer Kollegin Elisabeth Handl, die am 24.10.2022 am ersten 360°//GOOD ECONOMY FORUM in St. Virgil Salzburg war und die Keynote von Erich Thoma als Nachlese integrierte.

„Leben kennt kein exponentielles Wachstum.“

Eine Aussage, die mich tief Luft holen ließ und bewirkte, dass gleichzeitig die freudige Spannung ob des Vortrages von Erwin Thoma sich in einem Augenblick in ein Weichwerden. Eine Entspannung und ein Lächeln verwandelte, das aus den inneren Tiefen wachgerüttelt wurde.

„Wachstum in der Natur kumuliert im Peak, im Anstieg.“ Wie wir weiter erfahren, hat dieser Anstieg eine Grenze und ist nicht endlos in seiner möglichen Größenausdehnung. Was danach kommt: eine nächste Phase. Also ein zyklisches Prinzip, das der Natur zugrunde liegt, und das offenbar irgendwie einen Ausgleich, eine Verteilung schafft, von dem, was wir Menschen im Wachstumsprozess „den Gewinn“ bezeichnen.

„Wettbewerb in der Natur ist ein kreativer Prozess des wieder kehrenden Austauschs.“ Das ging wie Butter auf noch frischem warmen Brot von meinen Ohren in meine Synapsen über. Aber wie genau können wir uns das nun vorstellen? Um das besser zu verstehen, erzählt uns Erwin Thoma, der Gründer von Bausystem Holz100, von „seinem“ Kirschbaum und entführt uns in eine Welt, von der sich viele von uns entfremdet haben: den Wald und das Leben mit ihm. Bäume sind in seinen Erzählungen nicht nur faszinierende Pflanzen, sie sind Weggefährten.

Visual recording von Anita Bernitz am ecogood Forum 2022 zu Gedanken, wie der Kirschbaum ein ethisches Wirtschaften im Sinne des Gemeinwohls inspiriert.

© ANITA BERNITZ – Visual Message, GWÖ 360°-Forum

Wenn Erwin Thoma im Frühling den in voller Blüte stehenden Kirschbaum im Garten besucht, dann dankt er ihm, dass dieser nie bei McKinsey war. Und das, obwohl der Kirschbaum eigentlich und prinzipiell, so wie Thoma meint, alles falsch macht, hinsichtlich vorherrschender wirtschaftlicher Kennzahlen und Systemanalysen. Wäre der Kirschbaum ein Wirtschaftsstudent, und würde seine Methode zu Papier bringen, eine glatte Fünf wäre ihm gewiss. Er hat noch nie von einer SWOT Analyse gehört. Oder von Effizienz. Oder vom Füllen der Kriegskassen für den Wettbewerb.

Was ist es nun aber, das der Kirschbaum so anders macht?

Er kommt seiner Verantwortung, seiner Jobdescription nach, und läßt Blüten wachsen. Einige davon werden sich bis zum Sommer zu Früchten wandeln, viele der Blüten werden es nicht schaffen. Verschwendung? Notwendiger Verlust? Zahlt sich all das aus, für diese finale Prozentzahl von reifen Früchten und von kleinen Nachwuchskirschbäumen?

Sehen wir es mal von einer ganz anderen Perspektive, so wie wir dies auch noch als Kinder wahrgenommen haben: „Der Kirschbaum schafft Fülle und Überfluss! Seine gesamte Energie wendet er auf, um tausende Blüten erblühen zu lassen und freut sich, dass es summt und brummt. Freut sich an den Bienen und Wespen, den Schmetterlingen und allem, was fliegt und krabbelt“ und sich am Kirschblütennektar nährt. Einfach eine big, big Party. Unsereiner würd dann gleich mal wieder sagen: Na eh nett, aber wozu der ganze Spass? Ist doch reine Verschwendung, wenn da soviel Aufhebens gemacht wird dafür, dass da ein paar Kirschen dann von Menschen zu Kompott gemacht werden und der Baum sich ja nicht mal des Überlebens des Nachwuchses sicher sein kann. Weil es unterliegt ja nicht seiner Kontrolle.

Was bringt den Baum, ja die gesamte Evolution dazu, auf das Konzept des Überflusses, das Konzept der Fülle zu setzen? Ein Konzept, das im noch vorherrschenden wirtschaftlichen Mindset als Verschwendung gilt, und dem eine SWOT* Analyse als auch das Paradigma Effizienz völlig fremd ist. Die einfache und doch nicht ganz so einfach zu verdauende Antwort:

„Der Kirschbaum schafft es, dass jedes Lebewesen, das bei ihm vorbeikommt, sich aus ganzem Herzen über dessen Existenz freut. Von der kleinsten Ameise bis zur ausgewachsenen Wildsau.“

Gemeinwohl-Ökonomie als Purpose ** – ein Konzept für Leben und lebendiges Wirtschaften. Das verkörpert Erwins Kirschbaum.

* SWOT – engl. Akronym für Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Risiken); ist ein Instrument der strategischen Planung.

** Purpose – der Unternehmenszweck, das Warum und das Wofür einer Marke oder Organisation, die Mission, die dessen Zukunft maßgeblich mitbestimmt. Im besten Fall wirkt sich dieser auch positiv auf die Gesellschaft und die Welt aus, um gemeinsam eine lebenswerte Zukunft zu schaffen.

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Blick in den Himmel durch hohe Baumkronen, die einander Platz geben

Kooperation der Bäume

In den letzten Jahren hat ein neuer Begriff die Welt erobert: Wood Wide Web, das Internet des Waldes. Er bezeichnet die Verbindung und den Austausch von Pflanzen, insbesondere den Bäumen über ein immens großes, für unsere Augen unsichtbares Netzwerk im Wald. Diese natürlichen Lan-Verbindungen bestehen aus feinen Pilzfäden, dem Myzel, das sich durch den gesamten Waldboden zieht. Das sogenannte Mykorrhiza – die Symbiose aus Pilzgeflecht und Baumwurzeln –  bildet Kommunikationskanäle im Boden des Waldes.

Nun, was ist es, das in diesem System des Wood Wide Web transportiert wird? Wir können uns das als einen regen Austausch von Nährstoffen, Wasser und Botenstoffen vorstellen, der in den hauchdünnen Leitungen der Pilzhyphen stattfindet. Dieser unterirdische Highway dient aber auch zu Kommunikationszwecken. Ja, du liest richtig. Pflanzen kommunizieren miteinander. Sie verwenden dazu biochemische Impulse. Informationen werden über das Myzel und auch Luft weitertransportiert. Das können Warnungen sein, oder auch, dass eine Pflanze in Not ist, und dann Support aus dem Netzwerk bekommt. Kooperatives Verhalten ist im Wald an der Tagesordnung. Die Kommunikation ist vielfältig.

Wenn Bäume „einkaufen“ gehen

Zoomen wir nun mit Erwin Thoma in das Geschehen des Waldes und beobachten den Wald als System:

Der Wald, insbesondere der Waldboden, ist ein Ort der Bewegung von Materie. Rufen wir uns ein typisches Waldbild im Herbst vor Augen: bunte Blätter aller Schattierungen an Bäumen, Sträuchern und wie ein Teppich am Boden. Dieses unglaubliche „Bunt“ ist Ergebnis des Rückzuges von Magnesium aus der Baumkrone – von der Pflanze in den Stamm. Das grüne Blatt ist Sinnbild und Ort der Magie des Chlorophyll. Die Wurzeln sind der Hafen, die Ladestation, um die herum Abermillionen von Mikroorganismen das Futter, also die Information in Form von Nährstoffen (Magnesium) schürfen. Diese Nährstoffe liefern sie in den Hafen, woraus der Baum sich bedient. Im Gegenzug dazu, quasi als Bezahlung erhalten sie vom Baum C6-H12-O6 (Glucose/Zucker, oder auch „das Geld des Waldes“) und Sauerstoff, den auch und vor allem wir Menschen brauchen, erhalten und noch nicht dafür bezahlen. Dieser Zucker ist ein Produkt der Photosynthese, das aus der Krone in die Wurzelspitzen geleitet wird.

Damit diese Vorgänge funktionieren, ist es laut dem Zellbiologen Frantisek Baluska wichtig, dass die jeweiligen Zentralen der tausenden einzelnen Wurzelspitzen miteinander kommunizieren. „Die Wurzeln des Baumes haben also so etwas wie eine Schwarmintelligenz “, sagt Baluska. Wurzelspitzen können Wurzelspitzen anderer Pflanzen um sie herum erkennen und sich selbst von diesen zu unterscheiden. Bäume haben also so etwas wie eine Selbstwahrnehmung. Dies ermöglicht ihnen, dass sie erkennen, wenn andere Bäume ihre Hilfe in Form von Nährstoffen oder Wasser benötigen.

Eine Antwort auch auf die Art des Zusammenspiels, die im Waldboden, der symbiotischen Organisation von Pilzen und Pflanzen in den Mykorrhizen tobt, gäbe es noch nicht, so der Biologe, Historiker und Wissenschaftsphilosoph Merlin Sheldrake.

Für Erwin Thoma sind „Bäume so etwas wie die Nationalbank, allerdings ohne die Währung zu horten.“ Da die Mikroorganismen im Boden Zuckerjunkies sind und zu viel gehorteter Zucker/Geld den Tod im Wald bedeuten würde, ist die einzige Antwort darauf die Kooperation, der stetige Austausch, ein Geben und Nehmen unter der Maxime „das Leben fördern.“

Wann machen wir dies auch zu Maxime der Menschen und wann wird Geld als Werkzeug verstanden, um diese Maxime lebendig zu halten?

„Stell dir mal vor, wir Menschen würden so leben und wirtschaften, dass jeder Mensch, der mit dir zu tun hat, sagt: Wow, wie toll, dass es dich gibt! Und nun stell dir vor, welche Hebelwirkung und welche Transformationskraft dies für die Veränderung unser Gesellschaften und damit auch für unser Wirtschaftssystem hätte.“

„Es gibt so viele Menschen, die übersehen, oder nicht spüren oder gar nie gehört haben, dass es jenen Punkt, an dem wir vom gesunden, kreativen Wettbewerben und dem Kämpfen um die eigene Existenzgrundlage übergehen könnten in die Kollaboration“. Der Punkt, an dem es logisch erscheint, dass wir uns als System begreifen, in dem wir alle voneinander profitieren und lernen, direkt und indirekt. „Es ist auch jener Punkt, an dem wir sagen würden „Jetzt ist es genug!“ – bezeichnend für „Ich habe genug, ich brauche nicht mehr.“ Und das, so Erich Thoma, habe er noch nicht sehr viele Menschen sagen hören.

Klingt alles gut und schön? – Nun, können wir Menschen so einfach von einem vom Konkurrenzdenken geprägten Handeln in eines der Kooperation übergehen? Was ist das Risiko? Was ist mit Planbarkeit und Kontrolle?

Vertrauen statt Versicherungspolizze

Erwin Thoma bringt dazu einen äußerst spannenden Aspekt ein: „In der Natur ist Vertrauen die bessere Versicherungspolizze“. Legen wir das auf Produktion um und betrachten das anhand von Produktentwicklung, heißt das soviel wie, dass das, was wir Verschleiß und Belastung nennen, in den Prozessen und damit in der Summe aller Teilchen von Wertschöpfung und Wertschätzung integriert sind. Und, in diesem System ist kein Teilchen, kein_e Beteiligt_e, keine Energie umsonst.

Gibt für diese Haltung, für dieses Strategie ein Rezept zum Nachahmen? Man könnte sagen, die Natur hat ein Betriebsgeheimnis, das gar kein Geheimnis ist, denn sie teilt es mit uns und das ständig, seit Abermillionen von Jahren: Teilen statt unzugänglichem Einbunkern.

Für GreenWebspace war das 360°//GOOD ECONOMY FORUM 2022  Inspiration und auch eine wunderbare Gelegenheit für den Austausch mit gleichgesinnten Unternehmer_innen. Und: Auch einige unserer Kund_innen durften wir zum ersten Mal physisch treffen, was in unserem täglichen Business eher eine seltene, daher sehr willkommene Gelegenheit ist.

Danke an alle Mitarbeitenden, Mitwirkenden und Unterstützer_innen der Gemeinwohl-Ökonomie für unermüdlichen Einsatz und gemeinsames Gestalten für ein gutes Morgen! ♥

FAZIT: Rein ins Abenteuer „mit dem Rhythmus des Lebens arbeiten.“

360°//GOOD ECONOMY FORUM 2022

24.Oktober 2022 in St. Virgil bei Salzburg

Das Netzwerktreffen bot eine Plattform für Unternehmen und Gemeinden, um der Frage nachzugehen, welche Instrumente, welche Methoden und Herangehensweisen wirksam sind für einen Systemwandel in Richtung menschliches Wirtschaften. Neben dem Kennenlernen von Formaten zur strategischen Unternehmensentwicklung für eine wirtschaftlich ganzheitliche und erfolgreiche Zukunft wurden auch Themen wie die EU-weiten CSRD-Richtlinie, neue Beteiligungs-Modelle und Unternehmensformen wie die Purpose-Economy sowie Hintergründe zur Kreislaufwirtschaft vorgestellt und debattiert. Best Practice Beispiele von Vorzeigeunternehmen und Gemeinden boten Einblick, wie Gemeinwohl-Ökonomie in der Praxis gelebt wird und welche positiven Auswirkungen dies mit sich bringt.

Zum Nachhören:
360°//GOOD ECONOMY FORUM 2023
Buchtipp
  • Sheldrake, Merlin: Verwobenes Leben: Wie Pilze unsere Welt formen und unsere Zukunft beeinflussen | Alles über das geheime Leben der Pilze